Heute führen wir Reise durch die Geschichte der Astrologie und ihrer bedeutenden Astrologinnen und Astrologen fort und sind nun in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg angelangt. Eines bleibt für diese Zeit festzuhalten: Ohne Carl Gustav Jung gäbe es keine psychologische Astrologie. Sein Werk und Schaffen ist der zentrale Referenzrahmen für die Weiterentwicklung der Astrologie im 20. Jahrhundert.
Die Rolle der Psychologie in der astrologischen Deutung veränderte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts rasant. Das hing zum großen Teil mit der wachsenden Anerkennung der Psychologie als wissenschaftlicher Disziplin zusammen. Nachdem die Psyche zuvor nur das Thema der Philosophie, Literatur, Kunst und Religion war, wurde sie fortan unter wissenschaftlichen und medizinischen Grundsätzen betrachtet. Dort, wo ein Befund vorlag, gab es auch die Möglichkeit der Heilung in Form einer Therapie.
Wir alle kennen die Betrachtungen von Sigmund Freud, die damals große Popularität erlangten und das Bild von der Seele des Menschen revolutionierten.
Bedeutsamkeit für die Astrologie erlangten jedoch nicht die Studien von Freud, sondern die Theorien, die Carl Gustav Jung im Anschluss an Sigmund Freud entwickelte. Jung entwickelte ein begriffliches Instrumentarium, das für viele Astrologinnen und Astrologen heute zur Allgemeinbildung zählt: Archetyp, Imagination, Individuation, Projektion, Schatten, Selbst, kollektives Unbewusstes.
Wenn auch viele Menschen zum genaueren Wesensgehalt der Begriffe keine klare Vorstellung haben, sind einige dieser Begriffe dennoch in den Alltagsgebrauch übergegangen. Abseits dieser Alltags-Banalisierung sind die Anschauungen und Erkenntnisse Jungs über die Seele und das zumeist verborgene und unbewusste seelische Erleben für immer mehr Menschen zur Lebenshilfe geworden: Die Psychologie Jungs setzt dabei auf die Ganzwerdung der Persönlichkeit und die Heilung des Menschen. Jung ging es immer auch um Verstehenshilfen für gegenwärtiges seelisches Erleben.
Jung interessierte sich für esoterische und spirituelle Konzepte, schaffte Übergange zwischen der individuellen Seele und überpersönlichen Symbolsystemen der Kulturgeschichte.
Davon ausgehend, war er der Astrologie gegenüber aufgeschlossen, schrieb beispielsweise bereits 1911 an Freud, dass er sich ausführlich mit dieser Disziplin beschäftigt habe, und vertrat später wiederholt die Ansicht, dass die Astrologie eine Wissenschaft sei und zu Unrecht von den Gelehrten verachtet werde.
Jungs Archetypenlehre ist der Ausgangspunkt für eine Neuorientierung der Astrologie nach 1945 gewesen, wodurch die psychologische Astrologie bis heute zur anerkannten richtungweisenden Kraft wurde. Führende internationale astrologische Autoren wie Liz Greene, Howard Sasportas und Karen Hamaker-Zondag sehen ihre zentralen Bezugspunkte in der Lehre Jungs. Ausgehend vom kollektiven Unbewussten, fallen individuelle Symbole mit gemeinschaftlichen Symbolen zusammen: So werden aus der Analyse unbewusster Kräfte im einzelnen Menschen die Abbilder allgemeiner menschlicher Dispositionen klar – und umgekehrt lassen sich die Ursymbole von Kulturgeschichte und Mythologie zum Verständnis individueller Seelenlagen anwenden. Diese allgemeinen Symbole binden die Psyche des Menschen in kosmisches Geschehen ein.
Jung hat diese Symbole systematisiert und seine bekannte Archetypenlehre geschaffen. Die Archetypen sind Bereitschaftssysteme, die das seelische Erleben anordnen und bewirken und die Erscheinungsbilder strukturieren. Die archetypischen Bilder des Menschen tragen damit einen erheblichen Teil zur Ganzwerdung, Individuation und Selbstverwirklichung eines Menschen bei.
Kein Wunder also, dass die Archetypenlehre für moderne astrologische Deutungen ein überaus passendes Hilfsmittel ist – leistet sie doch genau das, was die psychologische Astrologie auch möchte: persönliches Wachstum ermöglichen.